UPDATE/Ex-EZB-Chef/Draghi kritisiert "langsame" Wirtschaftsreformen in der EU

Veröffentlicht: 16.09.2025

Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat die EU für ihre "langsamen" Reformen in der Wirtschaftspolitik kritisiert. "Ein Weitermachen wie bisher bedeutet, sich damit abzufinden, zurückzufallen" hinter den USA und China, sagte Draghi am Dienstag in Brüssel. Ein Jahr zuvor hatte Draghi der EU eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, von denen viele bislang nicht umgesetzt wurden.Während der vergangenen zwölf Monate hätten sich die Probleme für die europäische Wirtschaft weiter verschärft, sagte Draghi. "Die Abhängigkeit von den USA in Sachen Verteidigung wird als einer der Gründe angeführt, warum wir eine Handelsvereinbarung zu weitgehend amerikanischen Bedingungen akzeptieren mussten", so der ehemalige EZB-Chef. Im Falle Chinas hindere die europäische Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen wie Lithium die EU daran, Pekings Unterstützung für Russland oder illegalen Staatshilfen etwas entgegenzusetzen.Draghi forderte die EU deshalb auf, "Ergebnisse innerhalb von Monaten zu liefern, nicht Jahren". Unternehmen seien "enttäuscht darüber, wie langsam die EU handelt. Sie sehen, dass wir nicht in der Lage sind, die Reformgeschwindigkeit zu erreichen, die wir anderswo sehen." Der Italiener hatte in seinem Strategiepapier im vergangenen Jahr zu massiven Investitionen in Wirtschaft, Verteidigung und Klimaschutz aufgerufen. Er bezifferte die nötigen Investitionen auf zusätzliche 4,4 bis 4,7 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2023 - mehr als das Doppelte der Hilfen aus dem Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg.Eines der größten Hindernisse ist der zersplitterte europäische Finanzmarkt. In den EU-Staaten gelten unterschiedliche Regeln für die Bankenaufsicht, die Unternehmensbesteuerung und Insolvenzen. Grenzüberschreitende Investitionen sind deshalb häufig kompliziert, große Summen fließen eher in die USA oder nach China als in mehrere EU-Länder. Daran hat sich ein Jahr nach Draghis Empfehlungen nichts geändert. Die 27 einzelnen EU-Staaten wollen die Kontrolle über ihre Finanzmärkte und Steuerregeln häufig nicht aufgeben. Kleine Länder wie Irland, Malta oder Luxemburg profitieren von ihren niedrigen Steuersätzen und sträuben sich gegen eine Angleichung. Frankreich will eine EU-weite Bankenaufsicht nach Paris holen, Deutschland lehnt dies ab.Die Bundesregierung lehnt auch neue Gemeinschaftsschulden ab, die Draghi in seinem Bericht gefordert hatte. Für neue Verteidigungsausgaben hat die EU-Kommission deshalb ein anderes Programm aufgesetzt, mit dem die Mitgliedsländer insgesamt 150 Milliarden Euro Schulden aufnehmen konnten, abgesichert durch den EU-Haushalt. Draghi verwies zudem auf die weiter hohen Energiekosten für Unternehmen in der EU. Im Rahmen der mit Trump vereinbarten Gaskäufe aus den USA müssten in Europa die Preise sinken, mahnte er.Die EU-Kommission hatte auf Draghis Anstoß hin zudem versprochen, bestehende EU-Gesetze zu vereinfachen und eine Reihe von Regeln für Unternehmen abzubauen. In der Folge wurde etwa das europäische Lieferkettengesetz um ein Jahr nach hinten verschoben, weitere Zugeständnisse an Unternehmen stecken aber im Streit zwischen den Fraktionen im Europaparlament fest.EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte Europaabgeordnete sowie Vertreter der 27 Länder am Dienstag auf, den Plänen rasch zuzustimmen."Jeder einzelne Mitgliedstaat hat den Draghi-Bericht begrüßt, ebenso das Europäische Parlament", sagte sie in Brüssel. "Wir wissen alle, was getan werden muss." Von der Leyen räumte ein, dass eine größere Unabhängigkeit Europas von China und den USA noch Zeit brauchen werde. Sie verwies auf das noch nicht ratifizierte Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten und weitere Freihandelsvereinbarungen, Rohstoffabkommen mit Ländern wie Indonesien und Projekte für die Förderung und das Recycling von Lithium für Autobatterien innerhalb der EU, die gerade erst anlaufen.MBI/AFP/aul/16.9.2025

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